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17. Mai 2016

Angst, Meditationen zur Bundespräsidentenwahl

Was mir vielmehr Angst macht als der voraussichtliche Wahlsieg Hofers ist die zunehmende Polarisierung, die zunehmende Salonfähigkeit von inhaltsloser Phrasendrescherei, die weitgehende Akzeptanz einer Nichtgesprächskultur. Angst war für mich bisher eigentlich ein eher fremdes Gefühl (wenn man von der Dunkelheit unter dem Bett nach einem Horrorfilm absieht), besonders Angst vor der Zukunft ist mir neu. Von daher finde ich es schon auch interessant, was Angst mit mir macht. Sie aktiviert alle meine Urinstinkte und lähmt mich, meine Tendenzen schwanken zwischen davonlaufen, angreifen und verstecken. Mein Pessimismus sagt: in Wahrheit haben die Populisten schon lange gewonnen, können sie nur gewinnen, weil man sie weder ignorieren noch mit ihnen diskutieren kann und weil der Schnelllebigkeit der Zeit angemessen niemand mehr an aufwendigem Diskurs und echter inhaltlicher Beschäftigung interessiert ist.

Zu Meditieren bedeutet sich mit genau diesen Urängsten auseinander zu setzen. Ich meditiere also über meine Ängste und versuche meinen Körper wieder auf ein normales Stresslevel zu beruhigen. Ich scheitere dabei, jeden Tag aufs neue. Als rational begabter Mensch erkläre ich mir die Welt normalerweise über Verständnis. Ein Mensch den man verstanden hat, vor dem braucht man keine Angst mehr zu haben. Eine Angst die man verstanden hat, kann man auch überwinden. Jetzt ist es aber so, dass ich nicht verstehen kann wie ein ernstzunehmender Teil der österreichischen Bevölkerung (35 Prozent!) die NLP-Posse (https://cms.falter.at/falter/2016/05/03/norbert-der-profi/) der FPÖ nicht, noch immer nicht und immer wieder nicht durchschauen kann oder will. Es muss an meinem Desinteresse an Gesprächen ohne Inhalt liegen. Gespräche an denen ich nicht wachsen kann, Menschen an denen ich nicht wachsen kann interessieren mich nicht. Zugegeben, ja, in dieser Hinsicht ich bin wohl etwas arrogant. Gleichzeitig bin ich außerdem der Meinung dass Menschen die sich der geistigen Weiterentwicklung verweigern, sich also der geistigen Evolution verweigern, nicht der Definition des modernen Menschen entsprechen können.


Ich will wachsen, mich weiter entwickeln, weiter bilden, dem Fortschritt dienen und mithelfen allen Menschen, allen Lebewesen ein glückliches zufriedenes Leben zu ermöglichen. Ich will meine Kreativität und meinen Intellekt in größtmöglichem Maße entfalten können, ich will das Leben leben und das Leben lieben, ich will mit geistiger Offenheit und mit Offenheit im Herzen Neues schaffen, Großes schaffen, die Grenzen der Fantasie weiter und immer weiter ausdehnen und den vielen wundervollen Aspekten der Globalisierung, der Technisierung und anderer Fortschritte den ihnen angemessen Platz in meinem Tun und Denken einräumen. Ich will. Ich muss! Ich muss wachsen, oder elendiglich zu Grunde gehen. Wer nicht mehr weiter wächst, der hat sich im Grunde vom Leben schon verabschiedet, seinen Beitrag schon geleistet. Und ich bin davon überzeugt dass jeder einzelne Mensch, jedes einzelne Lebewesen noch wachsen kann. Wir sollten es als unsere Pflicht verstehen so lange als irgend möglich zu wachsen, Pflicht der Nachkommenschaft, der Umwelt und vor allem uns selbst gegenüber.

Ich meditiere und denke und schreibe und arbeite. Und komme zu keiner Lösung. Ich verzweifle an der Polarisierung. Die Selbstverständlichkeit mit der mein persönliches Umfeld die Populismen als menschliche Unmöglichkeit und eigentliche Skandale durchschaut lässt, den Wahlergebnissen folgend, nur einen Schluss zu: mehr und mehr nähern wir uns einer echten Zweigeteiltheit der Menschheit. Und also frage ich mich, wird das letztlich wie von H.G. Wells prophezeit dann doch auch zu genetischer Inkompatibilität führen? Wenn zwei keinen Konsens finden können, dann tragen immer beide ihren Scheit zu dieser Situation bei. Wenn ich also eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung nicht verstehen kann (als Landflüchtling in Wien wohl auch nie verstanden habe), dann liegt das genau so viel an mir wie an den anderen. Was kann ich persönlich unternehmen um auf dem Weg des Dialogs meine Angst und die duale Angst der Hofer-Wähler aufzulösen?

Zunehmend sind politische Entscheidungen heute (siehe etwa Faymanns Zick-Zack zum Thema Flüchtlinge) hauptsächlich populistisch begründet. In diesem Klima des Nicht-Diskurses, der Symptombenennung wird mir das Atmen, das Leben immer schwerer. Der westlichen Medizin wird ja gerne vorgeworfen nur Symptome zu behandeln, die Ursachen aber (so sagen böse Zungen) aus geschäftlichen Gründen wohlweislich zu ignorieren oder gar zu verheimlichen. Populismus treibt das Prinzip noch etwas auf die Spitze. Anstatt Symptome wenigstens zu behandeln werden diese nur lautstark proklamiert. Der Erfolg gibt recht. Die Weltordnung zerbricht, Menschen flüchten (aus welchen Gründen auch immer), Kulturen treffen aufeinander, Kulturen geraten aneinander: Ausländer raus! und Kulturen geraten noch mehr aneinander, wunderbar, wunderschön, so viele Wähler die dem lautesten Gockel folgen.

In manchen Momenten bin ich richtiggehend paralysiert, lese mit Schrecken die neuesten Meldungen, folge Diskussionen und fürchte mich. In einer Welt, die dem Diskurs, dem gepflegten Gespräch, der objektiven Erörterung, dem offenen Zugang keinen Wert mehr zuspricht, in so einer Welt habe ich keinen Platz. Kreativität bedeutet für mich an allererster Stelle uneingeschränkte Offenheit gegenüber dem Neuen und dem Anderen. Dazu muss ich aber auch Zugang zu dem Neuen und dem Anderen haben, dazu muss ein gesellschaftlich entsprechendes Klima der Offenheit nicht nur toleriert sondern auch akzeptiert und vielleicht sogar honoriert werden. Letztlich bleiben zwei Fragen: Können wir einen Weg zum Diskurs finden, können wir ein Gesprächsformat finden in dem sich alle Menschen ernst- und wahrgenommen fühlen? Und wenn nicht, wohin sollen wir flüchten; wenn der Populismus wieder überhand nimmt und Freiheit von Kunst, Meinung und Wissenschaft wieder mit den Füßen getreten werden, welches Land, welche Stadt bleibt uns auf dieser Welt?

Meine Angst also ist es zu ertrinken im Meer der fehlgeleiteten Meinungen und Entscheidungen. Und wie auch die duale Angst der mit dem Populismus geköderten Fische ist meine Angst unbegründet. Wer sich wirklich von einem Einwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen den Job wegnehmen lassen kann, der kann wohl selbst nicht recht qualifiziert sein. Wer sich wirklich von einer gesellschaftlichen Tendenz an der kreativen Entfaltung hindern lässt, der kann wohl selbst nicht sonderlich talentiert sein. Als Mensch bin ich unabhängig, bin ich frei in meinen Entscheidungen, in meinem Tun und Denken. Als Mensch darf ich es mir erlauben meine Talente zu entfalten, darf ich mein Leben so leben und lieben wie ich es für richtig halte. Als Menschen sind wir vor allem anderen dazu verpflichtet immer und immer weiter zu wachsen, offen gegenüber dem Neuen, neugierig auf das Andere. Als Menschen dürfen wir keine Angst vor der Zukunft haben. Als Menschen müssen wir den Moment leben, weder Zukunft noch Vergangenheit haben Bestand, können Bestand haben. Jetzt muss gelebt werden! Jetzt darf gelebt werden!

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